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Umbau des Sozialstaats vom Konkurrenten zum Partner der privaten Wirtschaft


Dass Deutschland OECD-Weltmeister bei der Arbeitslosigkeit der gering Qualifizierten ist, liegt, wie eine Studie des IWF kürzlich festgestellt hat, an der extrem geringen Spreizung der Lohnsätze über die Qualifikationsstufen hinweg. Diese geringe Spreizung ist das Ergebnis der jahrzehntelangen Lohnersatzpolitik des Sozialstaates, mit der sich der Staat auf dem Arbeitsmarkt zum Konkurrenten der privaten Wirtschaft gemacht hat. Mit der früheren Sozialhilfe und dem heutigen ALG II wurden Mindestlohnansprüche aufgebaut, durch die die Lohnverteilung von unten her zusammengestaucht wurde (Ziehharmonika-Effekt). Dadurch wurde gering qualifizierte Arbeit so stark verteuert, dass geeignete Stellen für sie auf breiter Basis entfielen und Massenarbeitslosigkeit entstand. Die in den letzten Jahren realisierten Reformen des Arbeitsmarktes haben dieses Grundproblem nicht gelöst, weil der Transferentzug bei selbst verdienten Einkommen nach wie vor extrem hoch ist.

Das Problem kann nur durch einen Wechsel vom Lohnersatz zu einem System mit Lohnzuschüssen bzw. verbesserten Hinzuverdienstmöglichkeiten gelöst werden. Die Devise muss sein, dass jeder arbeitet, zu welchem Lohn auch immer es eine Stelle für ihn gibt, und dass der Staat zu diesem Lohn im Bedarfsfalle ein zweites staatliches Einkommen hinzuzahlt, so dass in der Summe aus beiden Einkommen ein sozial akzeptables Gesamteinkommen entsteht.

Die vom ifo Institut entwickelte Aktivierende Sozialhilfe bietet ein wohl abgewogenes und finanzierbares System, das eine Alternative zum heutigen Lohnersatzsystem bietet. Das auf breiter Basis wirksame Kombilohn-Element des ifo-Vorschlags beseitigt das Konkurrenzverhältnis zwischen Sozialstaat und privaten Arbeitgebern und ermöglicht eine Anpassung der deutschen Lohnstruktur, insbesondere der Löhne für gering Qualifizierte, an die internationale Lohnkonkurrenz. Die Anpassung ist sozial ausgewogen und wird die erhofften Beschäftigungseffekte erbringen. Insgesamt kann bei einer Lohnsenkung im Niedriglohnbereich um etwa ein Drittel langfristig mit mehr als 3 Millionen zusätzlichen Stellen gerechnet werden.




Das Konzept der Aktivierenden Sozialhilfe basiert auf einer Evolution des bisherigen ALG II. Es umfasst drei Elemente, die ihre arbeitsmarkt- und sozialpolitischen Wirkungen nur im Zusammenspiel entfalten und in der Umsetzung daher untrennbar zusammengehören:

1) Zur Senkung der Lohnansprüche und zur Schaffung neuer Stellen wird eine deutliche Verbesserung der Hinzuverdienstmöglichkeiten bei den Sozialleistungen sowie eine echte Bezuschussung des selbst verdienten Einkommens in einem Eingangsbereich eingeführt.

2) Zur Vermeidung von fiskalischen Mehrkosten wird eine Absenkung der Regelleistungen des bisherigen ALG II für Personen vorgenommen, die kein Einkommen aus einer regulären Beschäftigung erzielen und deren beitragsbezogene Ansprüche gegen die Arbeitslosenversicherung ausgelaufen sind.

3) Zur Existenzsicherung für all jene, die keine Stellen in der Privatwirtschaft finden, dient ein Beschäftigungsangebot in kommunaler Regie, das ein Einkommen in Höhe des heutigen ALG II sichert. Um Ineffizienzen und Konkurrenz mit dem privaten Sektor zu vermeiden, ist ein Weiterverleih der kommunal Beschäftigten unter Einschaltung privater Zeitarbeitsfirmen vorgesehen.

Herzstück des Modells ist das Kombilohn-Element Nr. 1). Durch die genauere Ausgestaltung von Lohnzuschüssen und Transferentzug bei zunehmendem Bruttolohn bewirkt es, dass bisher arbeitslose Personen bereits über ein höheres Haushaltseinkommen verfügen als zuvor, wenn sie eine Halbtagsstelle im Niedriglohnsektor annehmen. Wer mehr als nur halbtags arbeitet, wird einen höheren Lebensstandard realisieren können als im Zustand der Arbeitslosigkeit, in den ihn das heutige System treibt. Dies gilt auch dann noch, wenn der Lohnsatz bei allgemeiner Ausweitung des Niedriglohnsektors gegenüber seinem heutigen Niveau deutlich sinken muss. Auch die bereits im Niedriglohnsektor Beschäftigten werden für die bei ihnen eintretenden Lohnsenkungen im Durchschnitt weitgehend kompensiert. Zudem weist das Brutto-Netto-Einkommensprofil – anders als im geltenden Recht – nirgends Grenzbelastungen auf, die jede Initiative erlahmen lassen oder sogar bestrafen ("Eiger-Nordwand-Effekt").

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Konkret geht es bei der Aktivierenden Sozialhilfe um folgende Reformschritte, die nur erwerbsfähige Bezieher existenzsichernder Sozialleistungen und damit vor allem ALG-II-Empfänger betreffen:

- Für arbeitslose Sozialleistungsbezieher, die eine Beschäftigung in kommunaler Regie ablehnen, werden die Leistungen des ALG II um 345 bis 460 Euro monatlich gekürzt, im Falle einer vierköpfigen Familie z.B. von 1591 auf 1161 Euro. Wohnkostenzuschüsse und Leistungen an Kinder bleiben unangetastet. Die staatliche Unterstützung Langzeitarbeitsloser liegt damit im Durchschnitt um etwa ein Drittel unter dem heutigen Grundleistungsniveau.

- Die so reduzierte staatliche Unterstützung wird bis zu einem selbst verdienten Einkommen von 500 Euro jedoch nicht abgeschmolzen. Der Transferentzug von 80% für das selbst verdiente Einkommen im Bereich ab 100 Euro entfällt.

- Zusätzlich gewährt das Finanzamt noch einen Lohnzuschuss von 20% für jeden selbst verdienten Euro bis zu einem Verdienst von 200 Euro. Dieser Zuschuss bleibt für darüber hinausgehende Einkommen bis 500 Euro ebenfalls konstant.

- Es besteht eine uneingeschränkte Sozialversicherungspflicht der Arbeitgeber. Arbeitnehmerbeiträge sind jedoch nur für jenen Teil des Einkommens zu zahlen, der 200 Euro übersteigt.

- Bei Einkommen jenseits von 500 Euro werden der Lohnzuschuss und die reduzierte Sozialleistung mit konstanter Rate abgeschmolzen und so mit allen anderen Abgaben und Transfers verzahnt, dass von jedem zusätzlich verdienten Euro Bruttoeinkommen stets rund 30 Cent übrig bleiben. Bislang verblieben von zusätzlichen Einkommen oberhalb von 800 Euro nur 10%.

- Diejenigen, die trotz des neuen Systems keine Stelle in der Privatwirtschaft finden, können verlangen, bei ihrer Kommune zu einem Einkommen in Höhe des heutigen, ungekürzten ALG II auf einer Vollzeitstelle beschäftigt zu werden. Kommt die Kommune ihrer Verpflichtung nicht nach, muss diese Regelleistung auch ohne Arbeit weiter gezahlt werden.

- Die Kommunen erhalten das Recht, die Arbeitsleistung der Betroffenen unter Zuhilfenahme von Zeitarbeitsfirmen an die private Wirtschaft zu verleihen, und zwar zu einem Honorarsatz, der in einem wettbewerblichen Ausschreibungsverfahren bestimmt wird und wahrscheinlich deutlich unter den Eigenkosten der Kommune liegt.


 

Fiskalische Effekte

Die Aktivierende Sozialhilfe ist so konstruiert, dass sie zum Zeitpunkt der Umstellung zu denselben fiskalischen Kosten führt wie das derzeit geltende Recht. Mittel- und langfristig rechnet das ifo Institut mit erheblich geringeren Kosten, die insbesondere aus der deutlich zunehmenden regulären Beschäftigung gering Qualifizierter resultieren. Die Einsparungen gegenüber dem geltenden Recht liegen nach den Berechnungen des ifo Instituts mittelfristig bei 7,7 Mrd. Euro und langfristig bei mehr als 21 Mrd. Euro pro Jahr.

Vergleich mit der Magdeburger Alternative

Anders als bei der so genannten Magdeburger Alternative werden die Lohnzuschüsse an die Individuen statt an die Unternehmen ausgezahlt. Eine Auszahlung an die Unternehmen würde zu erheblichen Streuverlusten führen, weil man die individuelle Bedürftigkeit der Betroffenen nicht berücksichtigen könnte. Im Gegensatz zur Meinung der Autoren des Magdeburger Modells lassen sich auch Drehtüreffekte nicht vermeiden. Die Begrenzung der Zuschüsse auf den Beschäftigungszuwachs gegenüber einer historischen Ausgangssituation ist kein taugliches Mittel, denn sie führt zu einem Ersatz existierender Firmen durch neu gegründete Firmen. Bestehende Firmen können im Wettbewerb mit neuen Firmen, deren gesamte Belegschaft an gering Qualifizierten bezuschusst wird, nicht überleben.


 

Sechs Grundsätze

Der Wechsel von Lohnersatzleistungen zu Kombilöhnen ermöglicht die Rückkehr zur natürlichen Spreizung der Löhne, weil Lohnzuschüsse keine Mindestlohnansprüche aufbauen. Das Outsourcing einfacher Arbeit wird verlangsamt, weniger Menschen werden durch Roboter ersetzt, weniger Produktionsfaktoren werden von den arbeitsintensiven Binnensektoren in die kapitalintensiven Exportsektoren getrieben, und vor allem können sich die einen den Erwerb der Dienste der anderen wieder leisten. Zugleich wird Armut vermieden, weil die Geringverdiener zu ihrem Lohn ein staatliches Einkommen hinzu erhalten.

Damit diese Wirkungen eintreten, müssen Kombilohn-Modelle sechs Grundsätzen genügen:

1. Der Staat muss seine Lohnzuschüsse dauerhaft gewähren. Nur so ist die größere Lohnspreizung gesellschaftlich zu verkraften, die die Voraussetzung für ein dauerhaft höheres Beschäftigungsniveau ist. Kombilohn-Modelle, die mit temporären Geldleistungen eine Wiedereingliederung von Arbeitslosen anstoßen wollen, ergeben keinerlei Sinn.

2. Es ist unmöglich, mehr Stellen zu schaffen, ohne die Lohnkosten zu senken, und es ist unmöglich, die Lohnkosten ausschließlich für neu eingestellte Personen zu senken, weil es sonst Drehtüreffekte gäbe. Billige Outsider würden teure Insider ersetzen. Deshalb muss der Kombilohn auch den bereits beschäftigten Insidern gezahlt werden, wenn deren Löhne fallen.

3. Um die fiskalischen Kosten zu begrenzen, müssen die Zuschüsse aber auf das untere Ende der Einkommensverteilung beschränkt bleiben. Ein Kombilohn, der allen bislang Arbeitslosen zur Verfügung steht, kommt nicht in Frage. Das war nach eigenem Bekunden das „Herzstück“ von Hartz. Die Hartz-Kommission wollte die Lohnkosten aller bislang arbeitslosen Personen ohne zeitliche Befristung auf 50% des Tariflohnes herabschleusen. Die Idee war absurd. Ihre Umsetzung hätte gigantische Summen gekostet.

4. Um die hilfsbedürftigen Insider zu identifizieren, muss sich der Kombilohn an den persönlichen Einkommens- und Familienverhältnissen orientieren. Er muss deshalb als negative Einkommensteuer ausgestaltet sein. Bloße Lohnzuschüsse an Unternehmen würden zu Ungerechtigkeit, Ineffizienz und überhöhten Finanzierungslasten führen. Ein großes Tohuwabohu wäre die Folge.

5. Damit ein in solcher Weise eingeschränkter Kombilohn finanziert werden kann, müssen die Lohnersatzleistungen entsprechend zurückgefahren werden. Heute gibt der Staat etwa 100 Mrd. Euro pro Jahr für alle Arbeitslosen einschließlich der Frührentner aus. Ein Teil dieses Geldes muss für die Kombilöhne verwendet werden. Geringverdienern während der Arbeit einen Zuschuss zu ihrem Lohn zu zahlen, kann billiger kommen, als die Arbeitslosen weiterhin zu 100% zu finanzieren.

6. Der Kombilohn darf nicht mit gesetzlichen Mindestlohnschranken verbunden werden, da er ja gerade deshalb wirkt, weil er die im bisherigen Lohnersatzsystem liegende Mindestlohnschranke beseitigt. Der Lohn für einfache Arbeit wird dennoch nicht ins Bodenlose fallen, denn irgendwo kommt der Punkt, wo die offenen Stellen überwiegen und die Arbeitgeber die Löhne wieder hochkonkurrieren, um Leute zu bekommen. Nach Schätzung des ifo Instituts wird der Lohn für einfache Arbeit um etwa ein Drittel fallen, wenn bis zu 3,2 Millionen gering Qualifizierte zusätzlich beschäftigt werden sollen.

Aus Sicht des ifo Instituts ist die Aktivierende Sozialhilfe der Schlüssel zur Überwindung der Arbeitslosigkeit, weil sie mithilft, die gesamte Lohnskala aufzufächern, so dass die Arbeitslosigkeit in allen Segmenten des Arbeitsmarktes verschwindet. Man sollte auf den Bundespräsidenten hören, der sie schon am 15. März 2005 für Deutschland empfohlen hat.

Quelle ifo